Es ist ein kühler aber sonniger Tag im März, als wir Annette die Glastür zu unserem Atelier öffnen und uns stockte in der Tat kurz der Atem. Natürlich wussten wir, dass Annette 1,83 Meter groß ist, weil sie das immer in ihren Beiträgen auf Instagram erwähnt - und nun sind Chris und ich auch nicht gerade klein - aber in der Tat ist Annette einfach eine Erscheinung.
Mit einem herzlichen Lächeln und ihrer offenen Art, gestylt in einer karamellfarbenen Felljacke (Nadja) und einer knallgrün-gemusterten Bluse (Kleid Zadie in Kurzform) begrüßt sie uns. Sofort sprudelte die Energie durch unsere Räume. Einfach grandios. Und schon ging es los:
Wann und warum hast du angefangen zu nähen?
"Also, das Nähen habe ich mir selber beigebracht. Der Auslöser war, dass mir mal ein Freund ein Kleidungsstück geändert hat und schon da dachte ich, dass ich das auch können will.
Und dann habe ich darauf gewartet, dass mir das mal jemand beibringt.
Aber da kam keiner.
Also habe ich mir bei Ebay eine Privileg Silvercrest für 30 Euro gekauft.
Dann habe ich mir erstmal ein YouTube-Video angeguckt, wie man den Unterfaden hochholt - und dann ging es los.
Wichtig ist an dieser Stelle: Bis dahin trug ich praktisch nur einen Look: Baggypants und T-Shirt. "
(Anmerkung: Das ist wirklich schwer zu glauben, wenn man diese Frau betrachtet, die uns da so super-Stylish gegenüber sitzt, aber sie zückte ihren etwas älteren Personalausweis, auf dem sie auch noch eine Irokesen-Frisur trägt und da wird klar: hier hat eine komplette Wandlung stattgefunden. Jetzt hängen wir förmlich an ihren Lippen)
Was gefällt dir am besten am Nähen?
"Also zuerst war das mehr so „Nähen um des Nähens willen“, aber dann kam Corona und so im Lockdown habe ich mir die ersten Schnittmuster bestellt und einfach genäht. So wie ich dachte. Es ist nämlich so: Ich bin ja 1,83 Meter groß, mein Oberkörper ist eher breit aber ich habe sehr schlanke Beine. Irgendwie hatte ich schon mein Leben lang keine Chance auf schöne Mode von der Stange. Was oben passte, schlabberte mir in der Hüfte und was untenrum passte, hatte dann obenrum keine Chance.
Aber jetzt, da ich selber nähe, kann ich mich endlich kleiden wie ich möchte. Jetzt spiegelt mein Look meine weibliche Seite wider und das ist ein wirklich tolles Gefühl.
Für mich bedeutet selbst nähen also eine ganz neue Möglichkeit, mich und das, was ich bin, auszudrücken."
Welches war dein erster Schnitt von Schnittmuster Berlin?
"Das war der Hoodie Dana.
Da konnte ich noch nicht so gut nähen, insofern war das Ergebnis mäßig gut. Aber dann kam der Schnitt Lotta und von da an wurde es einfach immer besser."
Wie ist aus dem Hobby das Designnähen geworden?
"Also zuerst war ich in einer Probenähgruppe, aber da war das mit den Terminen schwierig und außerdem darf man da ja nichts an dem Schnitt ändern. Das passte nicht so zu mir. Und dann kam der Aufruf zum Designnähen von euch und ich habe mich beworben - und wurde genommen.
Ich genieße es, als Designnäherin zu nähen, was mir gefällt, und die Freiheit zu entscheiden, ob ich bei einem jeweiligen Teil mitmachen möchte."
Wie viele Schnitte hast du von Schnittmuster Berlin
"VIELE. So ganz genau weiß ich das gar nicht."
(Im Rahmen dieser Aktion haben wir es dann natürlich doch gezählt und in der Gesamtheit sind es fast 40 Schnittmuster!)
Welcher ist dein Lieblingsschnitt?
(Sie lacht) "Immer genau der, den ich nähe. Und deshalb werden es ja dann auch oftmals gleich mehrere Kleidungsstücke hintereinander. Ich kann dann nicht aufhören."
Was musst du an unseren Schnitten ändern?
"Die Länge natürlich. Wie gesagt: 1,83 Meter - da muss immer Länge rein.
Manchmal mache ich Hosen schmaler an der Hüfte, passe den Schnitt für ein flaches Gesäß an und ich nehme grundsätzlich einen Zentimeter aus der Schrittnaht."
Was machst du mit all den genähten Teilen?
"Mittlerweile habe ich zwei Kleiderstangen und die sind brechend voll. Aber ich trage alles immer wieder gern und ich habe inzwischen Mode für jeden Anlass. Um den Überblick zu behalten habe ich alle Sachen auf den Stangen farblich sortiert.
Meine Liebe für meine eigene Mode geht so weit, dass ich mich morgens schön anziehe, mir den Look des Tages überlege und dann zur Arbeit gehe - wo ich mich wieder umziehen muss, da ich in meinem Beruf eine Uniform trage. Das stört mich aber gar nicht, sondern ich freue mich dann darauf, Abends wieder in MEINEN Look zu schlüpfen - selbst, wenn ich einfach nur nach Hause gehe."
Interview mit Annette, @naehliebhaberin, 52 Jahre, leitende Angestellte, 1,83 Meter groß, Konfektionsgröße 50